Interview mit Dominique Cabrera
Von Claire Mellini
Was war der Ausgangspunkt dieses Films?
D.C.: Ich hatte vor einigen Jahren einen Artikel
über das Montesson-Institut, das von Linda Morisseau geleitet wird,
gelesen. Es nimmt Mütter auf, die eine depressive Phase nach der
Geburt ihrer Kinder durchmachen. Darüber schrieb ich eine Synopsis
von 3-4 Seiten, die sich eine Frau verschwindet" nannte.
Es war die Geschichte einer Frau, die nach einer Geburt weglief und
sich in einen Turm zurückzog. Eine andere Frau, die im Turm nebenan
wohnte, sah das Licht bei ihr und ging sie besuchen. Niemand hat bisher
einen Film über eine Frau gemacht, die nach der Geburt ihres Kindes
in Panik gerät. Nicht nur, weil keiner die Idee hatte, sondern
weil es ein Tabu ist.
Zu welchem Zeitpunkt haben Sie begonnen, mit
Cécile Vargaftig zu arbeiten?
D.C.: Vom Beginn des Drehbuchschreibens an. Und
das war eine enorme Arbeit. sehr lang. Mindestens zwei Jahre. Und es
hat mindestens 20 verschiedene Versionen gegeben. Ich weiß es
nicht mehr genau, weil ich zwischendurch Nadia und die Flusspferde"
gemacht habe. Cécile hat parallel dazu weitergearbeitet. Sie
hat praktisch alle Dialoge geschrieben.
Haben Sie diese ursprüngliche Synopsis sehr
verändert?
D.C.: Was geblieben ist, ist die Geschichte von
Claire und Christelle. Sie ist das Gerüst das Films geworden. Einer
der wichtigen Beiträge von Cécile war es, sich vorzustellen,
dass die Nachbarin im selben Turm wie die Verschwundene wohnt und sie
bei sich aufnimmt. In meiner Synopsis war es eher die Veränderung
des Freundes ihres Mannes, der sich während der Suche in die Verschwundene
verliebt. Oder wie die Liebe des Mannes zu seiner Frau ihn die Leere
seines eigenen Lebens entdecken und auf etwas anderes hoffen lässt.
Sie spielen viel mit den Vornamen der Personen,
wie haben Sie sie ausgesucht?
D.C.: Außer Sandrine, dem Baby, hatte niemand
von Anfang an denselben Namen. Den Figuren Namen zu geben ist für
mich ein wichtiger Punkt der Zusammenarbeit mit dem Drehbuchschreiber.
Hier allerdings ist die Unfähigkeit zu benennen das Herz der Geschichte.
Christelle kann den Vornamen ihrer Tochter erst sagen, als sie in der
Lage ist, sie von sich zu trennen, sie als jemand anderen zu sehen.
Das ist die ganze Bewegung des Films. jemand anderes" war
übrigens eine zeitlang der Titel des Films. Am Ende aber habe ich
mich für diesen schönen Satz von Lady MacBeth entschieden,
die über ihren Mann sagt: Er ist zu voll der Milch der menschlichen
Zärtlichkeit."
Hat der Film einen dokumentarischen Hintergrund?
D.C.: Ein Teil des Dialogs der zentralen Szene
zwischen Claire und Christelle wurde von einer Fernsehdokumentation
über diese Krankheit (die Wochenbettpsychose) inspiriert, und ich
habe das Drehbuch von Linda Morisseau lesen lassen. Ich habe übrigens
ihre Anmerkungen aufgehoben, hier habe ich das, was sie über die
Gemeinsamkeiten von Christelle und Fällen, die ihr begegnet waren,
sagt: Sie ist eine Persönlichkeit geformt nach den Wünschen
des anderen, weise, vorbildlich. Ihre Pubertätskrise macht sie
durch, während sie selbst Mutter wird. Sie entdeckt ihre eigene
weibliche Identität. Bis dahin war es eine ihr aufgedrückte
Identität. Der Wahnsinn ist eine Eröffnung für diese
Frauen. Leidenschaft, Verlangen. Man muss nur ihre Plomben aufbrechen,
damit sie sich ausdrücken können. Das ist eine archaische
Geschichte, wir haben es mit Frauen zu tun, die sehr mit der Beziehung
zu ihrer eigenen Mutter beschäftigt sind." Für mich war
es erstaunlich, dass sie das sagte, weil Schreiben immer Arbeiten ins
Blaue hinein ist. Und jetzt liest es jemand und versteht, was man ausdrücken
wollte. Phantastisch!
Wie kam es zu der Szene mit der Milch?
D.C.: Das ist wirklich ein starkes Bild. Claire
trinkt am Morgen ein Glas Milch. Christelle sagt zu ihr: Du hast
die Milch des Babies getrunken." und das erzeugt bei Claire einen
schrecklichen Ekel. Man weiß nicht, ob es wirklich Muttermilch
ist oder nicht. Es geht um den animalischen Ekel, jemand anderem zu
nah zu sein. Claire hat sie aufgenommen, ihr zugehört, sich um
sie gekümmert, aber das, nein, das ist einfach zuviel! Das ist
es, was das für mich ausdrückt: Die Notwendigkeit der Grenze
zwischen der Mutter und der Tochter, zwischen sich und dem anderen.
Wie ist die Zeitstruktur des Films entstanden?
D.C.: Das war eine der größten Schwierigkeiten.
Im Drehbuch gab es vier Tage, im Film, so wie er jetzt ist, drei. Diese
Schwierigkeit hat, glaube ich, mit der archaischen Zeit, von der Linda
Morrisseau spricht, zu tun. Es ist die Zeit des Säuglings und seiner
Mutter, die Tage und die Nächte haben nicht die gleiche Dauer wie
unsere, das kleinste Detail hat einen Sinn, die Mutter ist komplett
absorbiert. Ich war lange auf diese stillstehende Zeit fixiert. Gilles
Marchand (Drehbuchautor) hat mir geholfen, mich kurz vor Drehbeginn
davon zu befreien, indem er mich nach der exakten Zahl der Tage fragte.
Der ganze Film war dann in diesem Zeitstillstand Christelles zwischen
Leben und Tod, entworfen in ihrer inneren Welt. Ihre Krankheit war ein
richtiger Staubsauger, hat Geschichten verschluckt und die Zeit der
anderen bestimmt, die der Familie, der Schwester, der Kinder, der Liebe.
Die Lösung war, den Film um einen Tag zu kürzen, so musste
die Babysitterin verschwinden, eine sehr schöne Figur, gespielt
von Romane Bohringer, sie war einfach großartig. Ich habe Wochen
gebraucht um sie verschwinden zu lassen, weil es wirklich schön
war, was sie gemacht hatte, aber es war die einzige Lösung.
Das ist eine Frau, die verschwindet...
D.C.: Ja, das ist es wirklich!