Der Geliebte geht
Yumiko, eine 25jährige Frau aus Osaka,
hei-ratet mit Ikuo jenen Mann, den sie als Reinkar-nation ihrer Grossmutter
wahrnimmt. Sie war gerade zwölf Jahre alt, als diese sich zum
Sterben an den Ort ihrer Kindheit aufmachte, und Yumiko sie nicht
aufhalten konnte. Zusammen mit Ikuo hat sie einen Sohn, der gerade
drei Monate alt ist, als gemeldet wird, dass der Vater sich unter
einen Vorortszug gestürzt hätte. Zurück bleibt ein
Schuh und das Glöcklein, das die Frau ihrem Geliebten als Schlüsselanhänger
geschenkt hatte.
Über die Vermittlung einer Nachbarin findet
Yumiko fünf Jahre später einen anderen Mann, der seinerseits
die Frau verloren hat und mit seiner kleinen Tochter in jenem Fischerdorf
am Meer lebt. Kore-Eda setzt diesen spärlichen Handlungsfaden
in meditativ wirkende Bilder um, in denen die Menschen sich immer
wieder in Durchgängen befinden, aus dem Dunkeln auf ein Licht
zustreben, wo eine Farbe dominiert: Das Blau. Einem Subplot gleich
setzt er den Ton ein, schafft sowohl mit der Musik seines taiwanesischen
Komponisten als auch mit ganz alltäglichen Geräuschen Raum.
Wie das Licht im Bild scheint der Glocken-Klang im Ton eine Konstante
zu schaffen und die Betrachtenden zu führen.
Man kann Hirokazu Kore-edas filmische Sprache
vergleichen mit älteren asiatischen Regisseuren, etwa in ihrer
Beschaulichkeit mit dem Taiwanesen Hou Hsiao-hsien («Der Puppenmeister»).
Gleichzeitig ist bei ihm aber auch eine japanische Tradition spürbar,
die von Yasujiro Ozu vorgezeichnet ist, zumindest was den Umgang mit
den Figuren einer Familie im Cadre des Bildes betrifft. Tief ist Kore-edas
Kameraposition, auf der Augenhöhe des japanischen Sitzens (die
auch der Augenhöhe des stehenden Kindes entspricht). Fix sind
die meisten seiner Einstellungen, geprägt von architektonischen
Elementen wie Türen und Fenster, die die Bilder stets in sich
noch einmal cadrieren. Aus alledem ergibt sich eine innere Ruhe, die
dem Lot entspricht, das der Filmemacher in die Seele der Trauernden
zu halten scheint.
Licht und Schatten
Wie zeigt sich dieses visuelle Erzählen?
Yumi-ko hat ihren Geliebten verloren, an einem reg-nerischen Tag und
somit doch nicht ganz aus heiterem Himmel. Sein Tod ist vorweggenommen,
indem Kore-eda ihn einmal am Fuss des Bahndamms mit dem daherbrausenden
Zug wettfahren lässt. Im Bild fährt der Zug auf dem Bahndamm
über dem Radler auf der Strasse unten hinweg. Gleich mehrmals
riskiert der Filmemacher die schwarze Leinwand, das Dunkel, das Teil
des Lebens ist, das Dunkel, ohne das das Licht keine Qualität
hätte. An jenem Tag, der Ikuos letzter werden sollte, folgt Yumiko
ihm auf die Strasse, schaut ihm nach. In Einstellungen wie dieser
wird spürbar, wie stark sich Kore-eda mit dem unvorbereiteten
Abschiednehmen befasst hat, ist es doch gerade dieser letzte Blick
auf eine geliebte Person, der den Zurückbleibenden nie mehr verlässt.
Die Frau aus der Stadt findet Halt im Dorf
auf dem Land. Das ist für den Filmer wohl weniger ein kritischer
Ansatz als ein künstlerischer: Hier lässt sich das Innen
im Aussen spiegeln, lässt sich der jahrelange Prozess vom Hinaustreten
aus dem Schatten, vom Zurückfinden ins Licht, von der Gefahr,
einer leuchtenden Illusion nachzurennen, visuell stark umsetzen. Denn
was gewesen ist, ist nie vorbei. Wenn Yumiko nun nach Osaka fährt,
so ist ihr Geliebter an all den Orten präsent, an denen sie gemeinsam
lebten. Wenn hinter ihr in der Strasse eine Velofahrerin klingelt,
so ist er, und sei es für den Bruchteil einer Sekunde, da. «Maboroshi
no hikari» ist auch ein Film über die Präsenz der
Absenz.
Die grosse Kunst von Kore-eda ist es, dieses
Gefühl zu vermitteln, dieses Licht ins Dunkle der Trauer zu setzen.
Es gibt eine ganze Reihe von Schlüsselbildern, die für sich
allein stehen können, offen wie ein Haiku. Eine davon wäre
jene Einstellung Schienenbus, in der sich der Blick aus 180 Grad Fenster
öffnet: Man steht still im Innern und draussen bewegt sich die
Welt. Erst am Ende des Films spricht Yumiko am Meer die alles bewegende
Frage aus: «Ich verstehe es einfach nicht, warum hat er sich
umgebracht?» Und Tamio, ihr neuer Mann, sagt: «Das Meer
kann dich in seinen Bann ziehen. Früher, als Vater noch Fischen
ging, sah er einmal weit draussen auf dem Meer ein - ein Licht der
Illusion. Etwas hat ihn dorthin gewinkt, sagte er. Und das kann jedem
passieren.» Die beiden Figuren sind in diesem Moment zwei gespiegelte
Schatten, und ihre Spiegelung im Wasser wirkt grösser als ihr
realer Körper. «Bereit, geh den Abhang hinauf», sind
die letzen Worte.
Walter Ruggle