K L A S S E N F A H R T
ein Film von Henner Winckler

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Gespräch mit dem Regisseur und den Hauptdarstellern

Frage: KLASSENFAHRT ist ein Film über die Pubertät, d.h. über Rivalitäten und Balztänze; zugleich ist der Film ein Eifersuchtsdrama. Wie ist die Idee für dieses Projekt entstanden, welches Interesse hast du am Stoff gefunden?
Henner Winckler: Im Prinzip hat sich die Idee aus meinem Kurzfilm Tip Top von 1998 ergeben, in dem ebenfalls Jugendliche mitspielen aber die Geschichte von KLASSENFAHRT ist komplett neu. Ich würde das Thema Eifersucht übrigens nicht zu sehr auf die Pubertät beziehen. Sie ist ein allgemeinmenschliches Thema, das auf jedes Alter übertragbar bleibt.

Frage: Beschreibst du in KLASSENFAHRT generationsspezifische Nöte und Phänomene?
H. W.: Genauso wenig wie ich einen sogenannten Coming-of-Age-Film machen wollte, war es meine Absicht, die Berliner Jugend der Jahrtausendwende zu porträtieren. Ich erzähle einfach eine Geschichte, die heute spielt und deswegen gegenwärtig ist, wobei sich das ja auch immer mit der eigenen Jugend und den Erinnerungen daran mischt.

Frage: Du erzählst die Geschichte der Außenseiter Isa und Ronny, die ihren Platz im Klassenverbund nicht finden. Von Anfang an ist klar, dass die beiden zueinander finden werden. Welche Rolle haben sie jeweils innerhalb der Klasse?
H. W.: Der Grad ihres Außenseiterturns ist unterschiedlich: Isa ist noch eher in die Klasse integriert, will aber aus ihrer Rolle heraus, zum Beispiel wegen der Eifersuchtsgeschichte mit ihrer Zimmergenossin. Ronny ist nicht der klassische Außenseitertyp, auf dem alle herum hacken, sondern jemand, der sein Einzelgängertum selbst gewählt hat und es in aller Konsequenz durchziehen will.

Frage: Steven, wer war denn Ronny für dich?
Steven Sperling: Na ja, er ist der Außenseiter. Er distanziert sich allmählich von der Klasse. Irgendwann reicht es ihm, dann kommt es zu dieser Schlägerei am Strand.

Frage: Aber die Klasse gibt ihm doch immer wieder die Möglichkeit, sich zu integrieren.
S.S.: Da steckt ja auch eine gewisse Ironie in der Klasse dahinter. Die sagen dann: "Hey Ronny, du Spinner" oder so ähnlich. Das kenne ich auch aus der Schule. Aber eigentlich will Ronny ja nur etwas mit Isa unternehmen.

Frage: Sophie, was kann Isa denn an Ronny lieben oder gut finden?
Sophie Kempe: Das Anstrengende an Ronny ist, dass er nie etwas sagt und immer voll ruhig ist. Er schließt sich selbst von allem aus und zieht sich zurück. Eigentlich weiß man nie, ob er einen mag oder nicht. Aber wenn er einmal aufgetaut ist, hat er seinen eigenen Humor. Außerdem ist er einfach anders als die anderen. Ronny muss nicht immer den Anführer spielen.

Frage: Auffällig ist der zurückgenommene Dialog, insbesondere der minimalistische Wortschatz bzw. die Einsilbigkeit der Figur Ronny.
H. W.: Nicht alles funktioniert über den Dialog. Es gibt Szenen, in denen wenig Inhalt vermittelt wird, aber alle quatschen, andere Szenen transportieren viel Inhalt, obwohl keiner etwas sagt.

Frage: Findet ihr, dass Isa und Ronny so reden, wie ihr euch auch unterhaltet, oder haben die Dialoge eine Künstlichkeit?
Sophie Kempe: Künstlichkeit auf jeden Fall. Ich habe Henner oft gesagt wie wir das eigentlich sagen würden. Hin und wieder ist er darauf eingegangen. Manchmal bestand er aber auf dem exakten Drehbuchtext.
S.K.: Man fühlte sich eben in die Figur hinein. Und ich glaube, dieser Ronny würde im wirklichen Leben genauso reden, wie er im Film redet.
H. W.: Ihr beide gehört aber auch zu denen, die wirkliche Rollen spielen. Isa und Ronny sind Figuren, bei denen es sogar auf einzelne Worte präzise ankommt. Bei euch habe ich deswegen am meisten Wert auf Dialoggenauigkeit gelegt. Es gab andere, die sich häufig weit vom Dialog entfernt haben, was mich jedoch nicht weiter gestört hat.

Frage: Henner, du hast dich in KLASSENFAHRT für eine ästhetisierte Kamerasprache entschieden, zum Beispiel wenn Isa, Ronny und Marek mit weißen Handtüchern am Schwimmbadrand sitzen. Ersetzt das Bild hier Teile des Dialogs?
H. W.: Eigentlich wollte ich für diese Szene einen Dialog schreiben, aber mir ist einfach nichts eingefallen. Und da habe ich mir gedacht, ich muss das, was ich eigentlich schreiben wollte, in die Inszenierung eines Bildes packen. Man sieht die Beziehungen der drei untereinander nun recht deutlich, weil sie alle sehr graphisch ins Bild gesetzt sind. (...)

Frage: Henner, würdest du KLASSENFAHRT als realistischen oder quasi-dokumentarischen Film bezeichnen?
H. W: Den Begriff quasi-dokumentarisch finde ich schwierig, weil mein Co-Autor und ich uns die Szenen ausgedacht haben und es zum größten Teil vorgegebene Dialoge gab. Trotzdem wollten wir Momente schaffen, die zwar inszeniert sind, in denen aber sozusagen etwas 'Echtes' entstehen kann.

Frage: Es ist auffällig, dass sich in deutschen Spielfilmen der letzten Jahre eine Strömung ausgebildet hat, die sich durch einen Anspruch an Realismus und Authentizität kennzeichnet. Filme wie „Der schöne Tag", „Mein Langsames Leben" oder „Mein Stern" weisen jeweils Eigenheiten auf, dennoch korrespondieren sie alle auf einer gemeinsamen Realismusebene. Wo positionierst du deinen Film innerhalb dieses Gefüges?
H. W: Zunächst würde ich nicht sagen, dass diese Entwicklung eine Erfindung der Deutschen ist. In Frankreich oder Belgien tritt diese Eigenheit viel stärker und häufiger auf. Jetzt gibt es eben auch ein paar deutsche Filme, die so sind. Auch ich finde es interessant, sich mit äußerer Realität auseinander zu setzen. Es ist doch wichtig, was um einen herum alles passiert. Ich glaube, meine Generation hat ein starkes Interesse daran, sich von Komödien und Fantasy-Geschichten abzukehren und sich statt dessen dem Leben zu widmen. Ich denke, es werden in der nächsten Zeit noch einige Filme von ehemaligen Kommilitonen oder Kollegen kommen, die ebenfalls in diese Richtung weisen. Aber sicherlich hat „Mein Stern" einen Standard gesetzt, der auch mich in Details inspiriert hat.

Frage: Hältst du KLASSENFAHRT für einen politischen Film?
H. W.: Eine schwierige Frage. In KLASSENFAHRT findet sich kein explizit politisches Motiv, wie es z.B. in den Filmen von Ken Loach der Fall ist. Aber alles, was sich mit Realität beschäftigt, ist gewissermaßen auch politisch .

Frage: Die Dramatik in KLASSENFAHRT resultiert weniger aus inszenierter action als aus einer Implosion von Spiel und Dialog. Was versprichst du dir von dieser Langsamkeit, die mancher Zuschauer sicherlich als sperrig empfinden wird?
H. W.: Ich habe gemerkt, dass dieser Film selbst die Langsamkeit fordert. Es hätte zwar noch Möglichkeiten gegeben, das Tempo zu steigern, aber mir schien, dass die Ruhe der Dramaturgie des Films eher entspricht. Wenn wir mit der Kamera zusätzlich action inszeniert hätten, wäre das absurd gewesen.

Frage: Wie habt ihr euch kennen gelernt? Gab es ein Casting?
S.K.: Henner hat mich im Mauerpark angesprochen und gefragt, ob ich Lust hätte, zum Casting zu kommen. Weil ich gerade Ferien hatte, habe ich zugesagt. In einem Film hatte ich noch nie mitgespielt. Ich musste dann ein paar Szenen mit Steven probieren. Danach dachte ich, ich würde nie wieder etwas von ihnen hören - aber dann haben sie mich doch angerufen.
S. S.: Ich saß auf der Insel in Treptow. Da kam Henner und wollte wissen, ob ich Lust hätte, bei seinem Film mitzumachen. Ich habe erst einmal gefragt, was das überhaupt für ein Film ist. Beim Casting musste ich zigmal Szenen aus dem Drehbuch durchspielen und improvisieren. Irgendwann habe ich die Rolle bekommen.

Frage: Als Ronny versucht, nach Berlin zurück zu trampen, wird er von einem Fahrzeug überholt, das geradewegs einen Grashügel hinauffährt. Was hat es mit dieser absurd-komischen Szene auf sich?
H. W.: (...) Die Idee war, dass der Fahrer sich nach Ronny umdreht, die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert und von der Straße abkommt.
(...) Für Ronny ist dieser Unfall einer der merkwürdigen Vorfälle, die er mit sich herumtragen muss. Normalerweise würde man davon erzählen, aber für Ronny ergibt sich keine Situation dafür. Er findet kein Ventil. Die Dinge bleiben sozusagen an ihm haften
Frage: Welche Rolle spielt die Figur des Lehrers? Er taucht regelmäßig auf, fast könnte man sagen in Aktabständen. Rhythmisiert der Lehrer die Dramaturgie?
H. W.: Er sollte auf jeden Fall immer präsent bleiben, aber eigentlich nicht mitbekommen, was tatsächlich auf der Klassenfahrt passiert. Er ist eine Randfigur, die in gewissen Abständen und mit einer gewissen Penetranz immer wieder auftaucht und versucht, Ordnung zu halten.
Er personifiziert den äußeren Rahmen einer solchen Fahrt

Frage: Warum werden die polnischen Originaltexte nicht untertitelt?
Soll die Sprache als kulturtypologische Besonderheit bewusst erhalten bleiben?
H. W.: Der Zuschauer sollte nicht mehr verstehen bzw. wissen als die Protagonisten Isa und Ronny, die kein Polnisch verstehen.

Frage: Weshalb wolltest du den Film in Polen drehen?
H. W.: Die Entscheidung für Polen war ein schwieriger Prozess, weil ich Angst hatte, dass die deutsche Geschichte oder das deutsch-polnische Verhältnis zu sehr in den Vordergrund treten. Meine Grundidee war, auf jeden Fall im Ausland zu drehen, weil ich eine Situation der Fremdheit schaffen wollte, die man sonst nur aus dem Urlaub kennt.
Gleichzeitig durfte der Drehort nicht zu weit von Berlin entfernt liegen. Außerdem sollte man dem Schauplatz anmerken, dass er seinen Zenit schon überschritten hat. All diese Anforderungen waren in dem Küstenort Miedzyzdroje (Misdroy), der kurz hinter der deutsch-polnischen Grenze liegt, erfüllt.

Vielen Dank für das Gespräch.
(Das Gespräch führten Claudius Lünstedt und Ansgar Vogt am 4. Januar 2002 in Berlin.)