Peripher Filmverleih





César 2005: "Bester französischer Film - Beste Regie - Bestes Drehbuch - Beste Nachwuchsdarstellerin (Sara Forestier)" Französischer Filmpreis

'Golden Anchor Award' Haifa Filmfestival 2004
"Preis der FIPRESCI" Istanbul 2004

L'esquive - ein Film von Abdellatif Kechiche



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InhaltLydia und Krimo bei Proben

Krimo ist verliebt in Lydia, die leidenschaftlich Verse von Marivaux deklamiert. Beim nächsten Schulfest soll dessen Liebeskomödie „Das Spiel von Liebe und Zufall“ mit ihr in der Hauptrolle aufgeführt werden. So fasziniert ist sie davon, dass sie sich für ihr letztes Geld das Bühnenkleid schneidern lässt. Wie soll der schüchterne, wortkarge Krimo, der selbst gegenüber seinen Kumpels kaum Gefühle formulieren kann, sich ihr offenbaren? Große Opfer sind nötig, also wechselt eine Reihe wertvoller Markenartikel ihren Besitzer, damit der Darsteller des Harlekin ihm die Rolle an Lydias Seite überlässt. Nur eins hat Krimo in seiner Entschlossenheit nicht bedacht: Die fürs Schauspiel geforderte Extrovertiertheit und der schwierige Text sind für ihn die Hölle...
Kechiche hat seinen Film mit großartigen Laiendarstellern an Originalschauplätzen (einer Sozialsiedlung in der Nähe von Paris) gedreht: „Diese Vororte werden dermaßen stigmatisiert, dass es fast revolutionär erscheint, dort eine Geschichte anzusiedeln, bei der es nicht um Drogen, verschleierte Mädchen oder Zwangsheirat geht. Ich hingegen wollte verstehen, wie dort über die Liebe und auch das Theater geredet wird. Ich wollte eine andere, persönliche Sichtweise vermitteln.“

esquive - Ausweichen, beim Sport (Boxen, Fechten)

umgangssprachlich: esquiver - sich vor etwas drücken, kneifen, die Zeche prellen



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Biofilmographie

Biografie Abdellatif KechicheFrida - Sabrina Ouazani

Geboren 1960 in Tunis.Wächst ab 1966 in Nizza auf und macht sich ab Mitte der 80er Jahre einen Namen als Schauspieler u.a.in Filmen von André Téchiné und Abdelkrim Bahloul.2000 wird seine erste Regiearbeit, das Pariser Emigrantendrama LA FAUTE A VOLTAIRE, bei den Filmfestspielen in Venedig als Bester Debütfilm und mit dem Publikumspreis der Jugend ausgezeichnet.

Filme

Filme als Schauspieler

1984
1987
1991
1992
1996
2001

Filme als Regisseur

2000
2003

Abdellatif Kechiche & Sara Forestier Abdellatif Kechiche & Sara Forestier

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Credits


Länge:
117 Min. Format 35 mm, 1:1.85 Farbe
Regie + Buch: Abdellatif Kechiche
Buch-Mitarbeit, Schnitt: Ghalya Lacroix
Kamera: Lubomir Bakchev
Kameraführung: Sofian Elfani
Kameraassistenz: Cécile Anselin, Frida Marzouk,Mathieu Normand
Schnittassistenz: Antonella Bevenja
Ton: Nicolas Washkowski
Tonschnitt: Sophie Bousquet
Mischung: Emmanuel Croset
Ausstattung: Michel-Ange Gionti
Kostüm: Maria Beloso-Hall
Regieassistenz: Carlos Da Fonseca, Parsotam, Monya Galbi
Produktionsltg.: Benoît Pilot
Aufnahmeleitung: Jacques Emmanuel Astor
Produzent: Jacques Quaniche Associate
Producers: Charles Taris, Franck Cabot-David
Co-Produktion: Lola Films, Paris
Produktion: Noé Productions
FSK: freigegeben ab 12 Jahren

Darsteller

Krimo - Osman Elkharraz
Lydia - Sara Forestier
Frida - Sabrina Ouazani
Nanou - Nanou Benahmou
Fathi - Hafet Ben-Ahmed
Magalie - Aurélie Ganito
Französischlehrerin - Carole Franck
Zina - Hajar Hamlili
Rachid - Rachid Hami
Krimos Mutter - Meriem Serbah
Hanane - Hanane Mazouz
Slam - Sylvain Phan
Polizisten - Olivier Loustau, Rosalie Symon, Patrick-Kodjo Topou, Lucien Tipaldi
Krimos Kumpel - Mohamed Benabdeslem, Fabio Camoes, Djamel Quazani, Nabil Osmani

Verleih: Peripher  Filmverleih, Berlin
Kontakt:peripher@fsk-kino.de
Pressematerial: www.kinopresseservice.de


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Krimo liest



Über den Film


Kritik in:


Interview
mit Sara Forestier (französisch) für arte
RealMedia
Haut débit   -   Bas débit


Der Preis der FIPRESCI:

Istanbul 2004
 "L'esquive" von Abdellatif Kechiche
 Der agressive Engel der Vorstadt
 Von Rüdiger Suchsland

Amour Fou in der Vorstadt. Eine Gruppe von Jugendlichen lebt mitten in einer jener anonymen Trabantenstädte rund um Paris. Nahezu alle von ihnen kommen aus Familien mit nordafrikanischem oder orientalischem kulturellen Hintergrund. Auch gehen alle in die gleiche Klasse. Dort probt die Lehrerin mit ihnen Szenen aus Marivaux' virtuosem Stück: "Das Spiel von Liebe und Zufall". In einigen Wochen sollen sie gemeinsam vor dem ganzen Viertel auftreten.

Lydia sieht mit ihren blonden Locken und ihrem ebenso wachen wie wütenden Blick wie ein aggressiver Engel der Vorstadt aus. Sie wirft sich ganz hinein in ihre Rolle. Sie geht in ihr auf und beginnt auf eine Weise zu strahlen, der sich Abdelkrim, genannt Krimo, nicht entziehen kann. Krimo ist Lydia's Kumpel, sie kennen und mögen sich seit Jahren, aber gerade deshalb würde Krimo nie etwas mit ihr anfangen. Doch plötzlich scheint alles wie verwandelt. Er liebt Lydia. Er kann seinen Blick nicht mehr von ihr lassen. Aber Krimo ist auch cool und will, dass die anderen Jungs ihn respektieren. Er muss sein Gesicht wahren. Wie Lydia. Ihre Freundinnen Frida und Nanou sind für sie das Allerwichtigste. Besonders Frida, die auch in der Aufführung mitspielt, fordert Lydias Disziplin und Loyalität ein, akzeptiert nicht, dass etwa "ein Typ" das Beziehungsgeflecht der Mädchen durcheinander bringen könnte.

Regisseur und Drehbuch-Autor Abdellatif Kechiche gibt dem Zusammenhalt seiner Figuren großen Raum, ohne dabei zu romantisieren: Sie sind nicht immer Kumpel, es gibt heftigen Streit, Misstrauen, Missverständnisse. Trotzdem weiß jeder, wohin er gehört. Und man hält zusammen. Zugleich zeigt der Regisseur seine Figuren als Individuen. Gruppenidentität ist nicht alles, und sie ist nicht übermächtig.

Allerdings funktioniert auch diese Gesellschaft nach strengen Regeln, nach klaren Verhaltencodes. Diese Regeln sind alles, worauf sich die Kids verlassen können. Das Schmiermittel von allem ist die Sprache. In wunderbarer Weise weckt Kechiche unseren Sinn für Nuancen, für Töne, fürs genaue Hinhören — selbst dann, wenn nicht jeder erkennt, welch wunderbares Französisch hier, nicht nur wenn Marivaux rezitiert wird, sondern auch in Form des Vorstadtslangs, gesprochen wird.

Die Kunst fungiert in alldem als Befreiungsakt. Hier betritt man eine neue Welt, hier scheint ein anderes Leben greifbar nahe. Kunst ist dabei für die Kids immer auch ein gangbarer und der einzig realistische Weg zu Reichtum, Berühmtheit, dazu, ein Star zu sein. Aber Kunst ist zugleich mehr: Der Weg zur Selbstentdeckung. "Leave yourself!" ruft die Lehrerin. Und genau mit diesem Satz kulminiert Krimos inneres Drama.

Denn zuvor ist er über seinen Schatten gesprungen, hat sich preisgegeben, gleich zweimal. Er hat seinen Freund Rachid überredet, ihm die Rolle des Harlekin abzutreten. Jetzt wird er gemeinsam mit Lydia auftreten und Marivaux's Worte sollen seine innersten Gefühle transportieren. So raffiniert das Manöver auf den ersten Blick scheint, so schwer ist es doch für Krimo, der seit Jahren kein Buch in der Hand gehabt hat. Doch ein zweites Mal fasst er sich ein Herz: Lydias bloße Gegenwart treibt ihn in den Wahnsinn. Aber als er ihr endlich seine Liebe gesteht, zögert die verwirrte Lydia, mag sich nicht entscheiden...

"L'esquive" ist Slang und bedeutet auf Französisch ein Ausweichen mit einem negativen Akzent: Kneifen, aber auch die Zeche prellen. Das ist der Zustand, in dem sich sowohl Krimo wie Lydia befinden — einander gegenüber, aber auch im Verhältnis zu sich selbst. Die Liebe und die Kunst sind erleuchtende und erlösende Kraft, Motor der Initiation. Und die Zustandsbeschreibung gerät Kechiche zu einem Drama voller Energie. Und voller Humor. Weit entfernt von jedem Sozial-Pamphlet zeigt sein Film Charaktere aus Fleisch und Blut. Die komisch-traurige Geschichte hat soviel mit individuellen Problemen zu tun wie mit sozialen und politischen Fragen.

Es ist schon ein politischer Akt, einen Film über die Vororte zu drehen, der nicht stigmatisiert, in dem es um nichts geht, was man mit diesen Orten gemeinhin verbindet: Drogen, Verbrechen, kulturelle Konflikte... Damit repräsentiert der Film auch jene vorsichtige Trendwende, die seit längerem im so genannten Cinéma Beur zu beobachten ist: Die dritte Generation derjenigen französischen Regisseure, deren Eltern oder Großeltern aus dem Maghreb kamen, stellen nicht mehr allein Identitäts-, Rassen-, und Einwanderungs-Konflikte ins Zentrum ihrer Filme.

Wirkliche Gefahr droht vor allem außerhalb der Banlieus. Fast vergisst man die Probleme, doch das Ende des Films ist auch ein soziologisches, jedenfalls ein politisches Lehrbeispiel: Polizeiwillkür aus der Sicht der Protagonisten.

Besonders faszinierend: Das Ensemble. Lydia und ihren Freundinnen sieht man den ungebrochenen Willen zum Glück ebenso an wie Krimo und den anderen Jungs, wie schwer es ist, ein echter Mann zu werden. Kechiche hat fast durchweg mit Laiendarstellern gearbeitet, die er in einer spontanen, direkten, schnellen Weise inszeniert, die doch immer die Leichtigkeit und das Flüchtige eines genau ausziselierten Dramas besitzt, zum Beispiel einer Komödie von Marivaux. Bis zum Ende ist "L'esquive" selbst ein Spiel von Liebe und Zufall. Die Kamera ist unaufdringlich, aber sorgfältig beobachtend, von beeindruckender Differenziertheit. Kechiche's Kino ist weltversessen, er macht das Leben in den Banlieus zu einem alltäglichen Gefühl.

"L'esquive" sieht klein aus, aber er ist groß. Ein bezaubernder Film über die Liebe, das Leben und die Dinge. Und über die Liebe zur Literatur.

Rüdiger Suchsland
 © FIPRESCI 2004
www.fipreci.org


Pierre Carlet Chamblain de Marivaux (1688 – 1763)

Hauptsächlich als Romancier und Dramatiker bekannter Autor, einer der bedeutendsten französischen Literaten der 1720er bis 40er Jahre, d.h. in der Periode der Frühaufklärung. Seine Spezialität war die Situation des unvermerkten und ungewollten Sich-Verliebens zweier Partner, und zwar insbesondere solcher, die zunächst durch Standesgrenzen getrennt zu sein scheinen, sich dann gottlob jedoch als passend erweisen, so auch

Le Jeu de l'amour et du hasard (Das Spiel von Liebe und Zufall) 1730,
eine der meist gespielten französischen Komödien.
Die besondere Leistung Marivaux’ war die Übertragung der spielerisch-eleganten Sprache der Pariser Salons seiner Zeit in seine Stücke, die entsprechend auch nicht in Versen, sondern in Prosa verfasst sind. Außerdem setzte er sich kritisch mit der zufälligen Verteilung der gesellschaftlichen Rollen (wie Diener / Zofe - Herr / Herrin) der Kastengesellschaft auseinander.

Le Jeu de l'amour et du hasard (Das Spiel von Liebe und Zufall) ist eine Veheiratungskomödie in drei Akten:

Silvia und Dorante sollen nach dem Willen ihrer Väter verheiratet werden. Beide kennen sich nicht, deshalb erlaubt man ihnen, den anderen gegebenenfalls ablehnen zu dürfen. Da beide der Lenkbarkeit ihrer Gefühle skeptisch gegenüberstehen, aber auch die offene Zurückweisung des anderen vermeiden möchten, gelangen sie zu demselben Einfall: Silvia tauscht mit ihrer Zofe Lisette die Rolle, während Dorante an die Stelle seines Dieners Harlekin tritt. So will jeder den anderen zunächst unerkannt in Augenschein nehmen. Die einzigen, die den Doppelplan kennen, sind Orgon, der Vater Silvias, und ihr Bruder Mario.

Der Diener beginnt nun, in der Rolle Dorantes um Lisette zu werben, sie verlieben sich und beide wissen nicht genau, wie sie dem anderen beibringen sollen, dass sie weniger sind als sie scheinen. Silvia in der Rolle ihrer Zofe Lisette und Dorante als Harlekin fühlen sich bereits bei der ersten Begegnung voneinander angezogen. Silvia sucht sich der beginnenden Liebe zu einem vermeintlichen Diener zu entziehen. Erst als Dorante sich zu erkennen gibt und Silvia nach einigen Verwicklungen trotz des vermeintlichen Standesunterschiedes heiraten will, legt auch sie ihre Verkleidung ab, und es kommt zur glücklichen Auflösung des Konflikts.




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