Im
Mittelpunkt Ihres Film steht eine Frau, die sich in vielerlei
Hinsicht
verweigert, ihrer Mutterrolle, gängigen Moralvorstellungen.
Was
macht diese Frau zur Madonna?
Der
Titel des Films ist provokativ gemeint. Rita ist ja eine sehr andere
Art von Mutter
als
sie durch die „Madonna mit Kind“ symbolisiert wird. Ich bin
katholisch aufgewachsen, der Kirchenbesuch war mehrmals die
Woche Pflicht. Und dort hatte ich immer diese Staue der Mutter Gottes
mit Kind auf dem Arm vor Augen. Sozusagen den Inbegriff der
Mutter. Dazu wollte ich die Figur der Rita in ein Spannungsverhältnis
setzen. Der Plural von „madonnen“ hat dann damit zu tun,
dass in dem Film auch andere Personen in ihrer tatsächlichen
oder zukünftigen Mutterrolle thematisiert werden.
Das Thema "Mutter" ist zur Zeit wieder sehr aktuell. Immer mehr wird das klassische Rollenmodell zum Ideal erklärt, hatten Sie diese Diskussion im Hinterkopf als Sie den Film schrieben?
Nein. Das hat einen sehr persönlichen Hintergrund. Seit ich selbst Mutter einer Tochter bin, musste ich mich immer wieder fragen, in welchem Maße ich meine Interessen weiterverfolgen darf und will oder mich ganz dem Wohl des Kindes unterordnen sollte. Wie ist das mit dieser Mutterliebe? Ist sie einfach da? Instinktiv?
Ich hatte immer den Eindruck, dass die Rolle der Mutter in dieser Gesellschaft sehr rigide definiert ist. Und wenn diese Rollenerwartungen von den Müttern nicht erfüllt werden, folgt sehr schnell sozialer Druck oder gar Ächtung. Das ärgerte mich -ganz persönlich. Ich habe also angefangen, mich mit solchen Müttern zu beschäftigen:
z.B. solchen, die mit ihren Säuglingen im Gefängnis sitzen. Wochenlang in diesem Mutter-Kind-Vollzug –so nennt man das- recherchiert.
Und: wenn man selbst Mutter wird, beschäftigt man sich plötzlich auch wieder mit der Rolle der eigenen Mutter. Fragt sich: welche Verhaltensmuster meiner Mutter reproduziere ich im Verhältnis zu meinem eigenen Kind? Wie viele Generationen braucht es, um Veränderungen möglich zu machen? Ist alles determiniert oder gibt es andere Verhaltensmöglichkeiten?
Nicht, dass ich diese Fragen mit meinem Film beantworten möchte. Aber vielleicht die eine oder andere stellen.
Rita kommt aus einem kleinbürgerlichen Milieu, nun zieht sie wie „vogelfrei“ durch Deutschland. Letztlich lebt sie ein Leben ohne Rücksicht auf Verluste und scheint sich überhaupt nicht um die Zukunft zu kümmern....
Das was Sie als vogelfrei bezeichnen, ist ja -anders beschrieben- nichts weiter als Ritas Schwierigkeit, Bindungen oder Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen. Und das ist eigentlich milieuunabhängig. Wie das psychologisch zu erklären ist, interessierte mich weniger. Es hat bei ihr bestimmt mit Erfahrungen der Art zu tun, wie es etwa das Verhalten ihres Vaters in Belgien darstellt: er veranlasst Ritas Auslieferung an die deutschen Behörden. Sie fühlt sich in unverbindlichen Beziehungen wohler. Damit kann sie umgehen. Das entspricht ihren Erfahrungen. Sie hat fünf Kinder von verschiedenen Vätern. Überwiegend amerikanischen Soldaten. Männern, die in Kasernen leben und nur vorübergehend in Deutschland stationiert sind. In Frankfurt, wo ich in einer bestimmten Haftanstalt recherchierte, hatten viele dieser Frauen solche Beziehungen und die nächste amerikanische Kaserne war nur einen Kilometer entfernt. Die Erfahrungen, die Rita dann aber mit Marc macht, passen teilweise auch nicht in ihre Erfahrungsmuster und irritieren sie.
In ihrer Selbstwahrnehmung sieht Rita diese Art zu leben natürlich nicht als Problem.
Im Gegenteil. Sie ist stolz auf ihre Unabhängigkeit. „Ich kann überall leben.“ „Ich lass mir nichts gefallen.“ „Wenn es mir hier nicht passt, hau ich einfach ab.“ Mit Sätzen dieser Art würde sie das formulieren. Und das ist deshalb natürlich auch ein Leben in der Gegenwart. Sorge, sprich Verantwortung für die Zukunft kommt darin nicht vor. Bei meinen Gesprächen mit inhaftierten Müttern habe ich häufiger die Frage gestellt, warum sie in ihrer objektiv schwierigen Situation so viele Kinder zur Welt gebracht haben. Warum sie nicht einfach verhüten. Meistens bekam ich die Antwort: es ist einfach passiert. Sie wissen auch nicht. Eigentlich hätten sie nicht schwanger werden dürfen und dann ist es doch passiert. Ich nannte das dann immer scherzhaft die „unbefleckte Empfängnis“.
Als Zuschauer muss man sich zunächst an die Hauptdarstellerin und ihre eigenwillige Art gewöhnen, doch mit ihrer filmischen Form beharren sie auf das Recht einer Frau, gängigen Vorstellungen nicht gerecht zu werden. Mit der Kamera treten sie deshalb meistes einen Schritt zurück, eröffnen einen Raum, indem sich Ihre Heldin vorurteilsfrei bewegen kann. Wie würden Sie diesen Raum beschreiben?
Mir war sehr wichtig, mit dem Film weder moralisch zu werten noch in eine bestimmte Richtung zu emotionalisieren. Ich wollte eher beobachtend auf das Geschehen blicken.
Den Raum, den ich der Figur eröffne, ist daher ein Raum für den Zuschauer.
Für mich ist ein Film dann gelungen, wenn er mich danach weiter beschäftigt, wenn ich weiter darüber nachdenke, was das mit mir und meinem Leben zu tun hat. Das funktioniert für mich besser, wenn mir nicht vorgegeben wird, was ich als Zuschauer zu denken und zu fühlen habe. Diese Haltung habe ich versucht im filmischen Erzählen umzusetzen.
Wie entsteht ganz konkret dieser Raum?
Also was die visuelle Seite des Films betrifft wollte ich bei diesem Film mehr den Personen folgen als bei „in den tag hinein“. Das hieß also mehr Kamerabewegung und weniger „bildhafte“ Gestaltung. Das war auch für die Arbeit mit den Kindern notwendig.
Und ich habe darauf geachtet mit den Einstellungen nicht zu emotionalisieren. Das heißt zum Beispiel -ganz banal- bei emotional aufgeladenen Momenten nicht unbedingt eine Großaufnahme eines Gesichts zu machen. Aber dieses Interesse eher beobachtend zu arbeiten, hat es schon bei der Entwicklung der Szenen auf Drehbuchebene gegeben.
Schon in Ihrem Regiedebüt "In den Tag hinein" ging es um eine Frau, die ihren Weg ging, der nicht immer für alle nachvollziehbar ist. Ist "Madonnen" eine Art Fortsetzung, eine Variation eines Themas, das sie interessiert?
Ich glaube, das Gemeinsame bei beiden Frauenfiguren ist ihre Eigenwilligkeit. Das Bedürfnis, nicht Opfer von Umständen oder dem Wollen anderer Menschen zu sein.
Sie haben beide Probleme, bestimmte Realitäten anzuerkennen. Versuchen nach einer Art „Lustprinzip“ zu leben und weigern sich in diesem Sinne, erwachsen zu werden.
Und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb sind beide verlassen, einsam.
Warum mich solche Figuren interessieren, muss ich noch herausfinden.
Quelle: Internationales Forums des Jungen Films